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Shivling 6543m

Shivling 6543m

Fakten

Shivling, 6543m (Gharwhal Himalaya)
Route: „Shiva’s Ice“
Länge: 1500m
Schwierigkeit: WI5, M6
3 volle Tage Kletterzeit
im Basecamp zwischen 30.9.17 – 16.10.17

 

Story

Es war wieder mal bei der Erna, der Tankstelle an der Toblacher Kreuzung, als wir uns uns zu einem schnellen Kaffee vorm Klettern trafen. Neben dem gewöhnlichen „Wie geht’s?“, „läuft’s voran in der neuen Tour“, „hast viel geführt?“, fiel dieses Mal auch das Thema „hast nächsten Herbst schon was geplant?“. Die Antwort war „eigentlich nicht“. Doch während unserer Klettertour kamen wir immer mehr ins Gespräch und tatsächlich ging mir dieser Gedanke schon länger durch den Kopf… „es muss nicht unbedingt was „Neues“ sein, es muss einfach ein schöner Berg sein, der auch machbar ist“. Als ich Simon den Shivling vorschlug, dauerte es keine zwei Sekunden konnte man das Funkeln in seinen Augen erkennen.

Zehn Monate später sitzen wir in einem großen Jeep auf dem Weg von Delhi nach Rishikesh. Unser Ziel: der Shivling. Das Matterhorn des Himalaya. Eine der schönsten Berggestalten unseres Planeten. Seit der Erstbesteigung im Jahre 1974 über die Westseite, wurden mehr als 10 verschiedene Routen an diesen Berg eröffnet. Im Jahr 2000 konnte Thomas Huber, gemeinsam mit dem Schweizer Iwan Wolf die magische Linie des „Kammerlander – Hainz“ – Pfeilers vollenden und erhielt schlussendlich die höchste Auszeichnung im Bergsport, den Piolet d’Or, für die „Shiva’s Line“. Zu offensichtlich und erhaben teilt dieser steile Granitpfeiler die Sonnen- von der Schattenseite, zu beeindruckend wirkt die abschließende Headwall… Grund genug für uns dieses Projekt, vielleicht, bei passenden Verhältnissen, angehen zu wollen.

Nach zwei Tagen Fahrt dem heiligen Fluss Ganges entlang, erreichen wir den für die Hindus heiligen Ort „Gangotri“, unser Ausgangspunkt für den zweitägigen Zustiegsmarsch. Mit großer Hilfe nepalesischer Träger, die nur mit doppelter Last bepackt gehen wollen (40 kg!), folgen wir am nächsten Tag den Ganges bis zu seinem Ursprung, dem „Gaumukh“ (=Kuhmaul), wo ein größerer Bach eben aus einem Gletschertor entspringt. Hier übernachten wir. Nun ist es nicht mehr weit bis zum Basecamp „Tapovan“ und in einem halben Tag erreichen wir das Hochplateau am Fuße des Shivling. Schon beim Raufgehen können wir nicht aufhören zu fotografieren. Es hat sich auf jeden Fall schon gelohnt hierher zu gehen. Die Schönheit dieses Berges ist überwältigend und lässt sogar die Bhagirathis, die mächtigen gegenüberstehenden Granitwänden, etwas in den Schatten geraten. Ich glaube einen schöneren Basecamp kann man sich nicht vorstellen. Eben, viel Sonne, mit Bach nebenan und mit diesem Ausblick, der Wahnsinn!

Vor einigen Tagen hat es sehr viel geschneit und im Basislager geregnet gehabt, was wir an den „Wasserrinnen“, die die Teilnehmer der Amical Expedition gegegraben haben, erkennen können. Der Berg ist sehr weiss und wir sind schon ein bisschen skeptisch ob wohl irgendwas gehen wird. Doch wollen wir nichts überstürzen und legen einen Tag Pause zum Akklimatisieren ein, denn das Basecamp liegt immerhin auf 4300m.

Am Tag darauf starten wir mit leichtem Gepäck erstmals Richtung Berg. Gleich merken wir, dass wir zu spät weggegangen sind und die Sonnen brennt erbarmungslos auf uns runter. Die Spurarbeit ist auch nicht wenig, aber schön langsam erreichen wir einen großen Stein auf ca. 5000m. Hier müssen schon andere übernachtet haben, denken wir uns, uns lassen die Rucksäcke hier liegen. Vom „Camp 1“ gehen wir noch ein paar hundert Meter zur großen steilen Rinne hinüber, die zum Pfeiler führt. Der Schnee scheint in der Rinne relativ hart und für heute haben wir schon genug gesehen. Guter Dinge steigen wir wieder ins Basecamp ab.

Da das Mitführen eines Satellitentelefons in Indien verboten ist, müssen wir das Wetter vor unserem „Laison Officer“ heimlich checken und es schaut für die ganze kommende Woche gut aus. Am nächsten Tag stehen wir mit etwas mehr Material wieder am Anfang der großen Rinne und nach ein paar hundert Meter sehen wir ein, dass der Schnee doch nicht so hart ist, wie anfangs gedacht und wir plagen uns in der sengenden Sonne rauf. Wir sind wieder zu spät dran, das nächste Mal dann früher starten! Nach ein paar Stunden erreichen wir den Beginn des Pfeilers. Es schaut alles ziemlich winterlich aus hier oben und wir sind recht skeptisch ob das mit dem Pfeiler wohl gehen soll. Allerdings zieht links davon eine Eisspur runter, so wie ein Eisfall. Es schaut recht gut aus aus der Ferne und wir wollen es beim nächsten Mal versuchen. Auf einen ausgesetzten Gratrücken auf 5500m finden wir den Platz, wo die Huberbuam biwakiert haben könnten und deponieren dort unser Material. Am Abend sitzen wir wieder im Basecamp und können gemütlich unsere Füße ausstrecken, während uns Rangid, unser nepalesischer Koch, mit einer vegetarischen Köstlichkeit verwöhnt.

Da das Wetter immer beständig auch wenn etwas kälter gemeldet ist, planen wir genau so wir es uns passt – ein richtiger Luxus, wenn man es mit Patagonien oder anderen Regionen vergleicht. Wir möchten unsere Fixseile oben anbringen um uns für den Gipfelversuch dann eine gute Ausgangslage zu verschaffen.

Wir übernachten am übernächsten Tag das erste Mal beim großen Stein auf 5000m um uns besser an die Höhe du gewöhnen. In aller Frühe starten wir mit über 15 kg schweren Rucksäcken zum Camp 2. Es wird eine richtige Plagerei die Rinne hochzustapfen und immer muss man bei den Schnaufpausen aufpassen, sich nicht zu weit aufzurichten, ansonsten würde man leicht das Gleichgewicht verlieren. Wahnsinn wie das etwa die Sherpas auf die Hochlager der 8000er bewältigen! Auf dem ausgesetzten Grat angelangt, schaufeln wir uns den Platz für das kleine Zelt frei und bereiten alles für die Nacht vor. Danach steigen wir zum Einstieg rauf, denn wir können es kaum erwarten endlich richtig Hand am Berg anzulegen. Von rechts nach links kletternd erreichen wir die Eislinie. Der Schnee ist hart, mit vielen Eiseinschlüssen, richtiges Styroporeis, so wie man es aus den guten Nordwandverhältnissen in den Alpen kennt. Es könnte gehen. Es ist steil, bestimmt WI5 und lässt sich nicht gut absichern, aber Simon lässt sich nichts anmerken und nach vier Seillängen steiler Eiskletterei stehen wir bereits oberhalb der Lippe und können eines der zwei 200m Dyneema Fixseile fixieren. Dann seilen wir ab und machen es uns im kleinen Zelt am ausgesetzten Grat gemütlich. Am nächsten tag Jüngern wir über das fixierte Seil rauf und erreichen das gestrige Materialdepot. Nun beginnt „klassischens Nordwandgelände“. Anstatt zum Pfeiler nach rechts zu queren, verführt uns der super Styroporschnee mit Stellen bis 70° gerade rauf zu klettern. In der Sonne ist es richtig angenehm zu klettern, doch sobald der Schatten kommt, dauert es keine 5 Minuten un man muss mit der dicken Daune bewaffnet sein um nicht auszukühlen. Wir erreichen eine Höhe von 5900m, fixieren alle Seile die wir haben und deponieren das gesamte Klettermatereial. Nach einer längeren Abseil- und Abstiegsaktion finden wir uns am Abend im Basecamp wieder, wo wir nun volle zwei Tage rasten wollen.

Am frühen Nachmittag des neunten Oktobers starten wir in Richtung Camp 2 und erreichen es im schattigen Nachmittagslicht nach ca. 4 Stunden Marsch. Wir stellen das kleine Zelt wieder auf und legen uns rein. Wir sind beide fit, das Wetter ist schön, allerdings ist ein ein ganz schönes Stück kälter geworden als die Tage zuvor. Mit dem ganzen Biwakmaterial bepackt starten wir am nächsten Tag und jümern über die Fixseile reif. Es ist sehr anstrengend, da das erste Stück sehr steil ist. Dann legt sich dass Gelände zurück und als wir unser Materialdepot erreichen, scheint auch die Sonne und wärmt uns etwas auf. Simon übernimmt die Führung. Das Gelände ist nicht allzu schwer, der Styroporschnee perfekt, dennoch lässt sich die Kletterei nicht gut absichern, deswegen heisst es immer aufpassen. Einen Haublag ziehen wir nach und einen goßen Rucksack trage ich am Rücken. Nach ein paar Seillängen erreichen wir schlussendlich den Kammerlander – Hainz Pfeiler, wir wir dann, nach einer weiteren kurzen Seillänge ein etwas abschüssiges Plätzchen, direkt am Grat auf ca. 6000m freischaufeln können. Die Sonne ist schon lange weg und wir stellen schnell unser Zelt auf, um uns in die warmen Schlafsäcke reinlegen zu können. Wir schmelzen Schnee, kochen, trinken, das gleiche gewohnte Ritual. Kurz bevor die Sonne untergeht, lässt sie sich nochmals blicken, doch sind die Sonnenstrahlen um diese Uhrzeit zu schwach um Wärme zu erzeuge. Im letzten Sonnenlicht schauen wir zur Headwall rauf, die wie ein ein glattes aber schützendes Dach über unseren Köpfen wirkt. Wir sehen das Risssystem wo die Shiva’s Line von Thomas und Iwan raufgehet. Wir haben alles an, sogar die dicke Daunenjacke im Schlafsack und die Fäustlinge. Als wir das „Wie und Wann“ für den morgigen Tag besprechen, sehen wir beide gleich ein, dass es einfach zu kalt ist um dort oben, Seillängen im A3-A4 Bereich klettern zu können und entscheiden uns auch wegen dem perfekten Styroporschnee, die Japanerroute, die über eine schräg nach rechts oben ziehende Rampe das Gipfeleisfeld erreicht, als Ausstieg zu versuchen.

Die Nacht wird sehr kalt, lang, ungemütlich und bringt wenig Schlaf mit sich. Wir sind schlussendlich richtig froh, als wir aufstehen dürfen. Noch im Dämmerlicht richten wir unser Material zusammen. Vieles werden wir hier im Zelt lassen, denn unser Vorhaben ist es am gleichen Tag den Gipfel zu erreichen und wieder zurück zum Zelt abzuseilen. Ein einem kleinen Kletterrucksack nehmen wir wie bei einer Tour zu Hause in den Alpen, nur das Nötigste mit. Die ersten zwei Seillängen bis unter die Headwall sind nicht schwierig, doch lassen sich die Pickel mit den Fäusltlingen nicht so gut angreifen; die Uhr zeigt zwar nichts mehr an, es habt aber bestimmt zwischen -15° und -20°C. Nun wird die Kletterei interessanter, die Wand steilt sich auf und eine Rampe zieht nach rechts oben. Die nächsten Seillängen sind alle sehr ähnlich und würden zuhause, 2000m tiefer, im Bereich „Genußmixedklettern“ reinfallen. Doch hier oben auf über 6000m ist alles anderes, 2-3 Züge, dann ist der Puls wieder auf 200… Die alten Fixseile der Japaner kann man noch gut erkennen, vermutlich haben sie versucht die Eispassagen auszuweichen, denn die Haken, die sie hinterlassen haben, stecken teilweise weit oben in der glatten Wand. Als wir dann das Eck am Ende der Rampe erreichen, wissen wir, dass es nun nicht mehr ganz weit sein wird. Ein Blick in die Nordwand, die hier raufzieht und wir erkennen auf ein Mal den leblos eingeschneiten Körper eines Polen, oder letztes Jahr hier verunglückt ist. Schnell versuchen wir uns wieder auf uns selbst zu konzentrieren, denn Fehler sind bei keinem von uns in der Höhe jetzt erlaubt. Doch während der nächsten zwei schönen Felslängen, gerät mein Blick immer wieder zu ihm runter und sine tragische Geschichte geht mir nicht so schnell aus dem Kopf – überhaupt als sein Kollege Hilfe holen wollte, das Basecamp erreichte und dort letztendlich an Erschöpfung starb.

Schritt, Zug, Weitermachen und Konzentrieren, nun haben wir es wirklich nicht mehr weit. Zwei lange Seillängen im 60° Schneefeld mit tiefen Furchen durchzogen, erinnern  uns beide an die Königsspitz Nordwand und lassen nun ein bisschen Rhythmus in die Kletterei reinkommen. Der Schnee ist immer noch perfekt – nicht blank, aber auch nicht tiefes Spuren, und die sonne, die uns seit Kurzem Besuch gestattet, lässt den Himmel tiefblau erscheinen. Die Wächte am Ende des Schneefeldes überwinden wir von links nach rechts und stellt kein großes Problem dar. Die letzten Meter und dann haben wir es geschafft! SHIVLING! Und das zum Großteil über eine neue Tour – das hätten wir uns beim schneereichen Anblick der ersten Tagen kaum erträumen können! Obwohl der Gipfel bzw. das Gipfelplateau an sich ziemlich unspektakulär ist (der Venedigergipfel ist ausgesetzter!) sind wir nicht nur vom Berg, vor allem von der uns umgebenden Kulisse überwältigt! Von den Bhagirathis zum Kadernath, zum spitzen Südwest Gipfel, vorbei an Thalay Sargar, zu den Meru’s und Shark’s Finn – Indien beeindruckt wirklich durch einen Vielzahl an hohen, sehr anspruchsvollen und wenig besuchen Gipfeln!

Ein paar Fotos und ein kurzes Video, dann müssen wir uns auch schon auf dem Rückweg machen, denn fast alle Abseilstände sind noch einzurichten und die schräge Rampe zurück abzuseilen wird kein leichtes Unterfangen. Doch alles läuft so wie es soll ab und wir haben auch Glück, dann das Seil bleibt uns nie hängen! Genau bei den letzten Sonnenstrahlen erreichen wir unser Zelt, wo wir es kaum erwarten können uns reinzulegen. Wir lachen und sind wirklich froh wieder unten zu sein. „Morgen nochmals gut aufpassen beim Abseilen, dann kann nichts mehr schief gehen!“. Nach der vergangenen, fast schlaflosen Nacht, würden wir schlafen wie ein Stein, doch die Nacht wird wieder schlaflos, lang und sehr kalt.

Als uns die ersten Sonnenstrahlen in der früh das Zeichen zum Aufstehen geben, sind wir wie drei Mal drübergebügelt und ich habe auch noch sehr starke Kopfschmerzen. Nun heisst es wirklich zusammenreissen und gut runterkommen. Gleicht bei unserem Zelt baumen wir den ersten Abseilstand auf und wie es gestern aufgehört hat es es nun munter weiter. Ich seile Simon ab, er baut einen Stand mit Schlingen, Pecker, Schlaghaken, Keile oder gar Friends auf und ich komme mit einem großen Rucksack nach, das Ganze unzählige Male, bis wir das Camp 2 erreichen. Als wir die Fixseile nun auch abziehen wollen, bleibt ein Ende irgendwo oben hängen. Mehrere Male versuchen wir mit ganzer Kraft daran zu ziehen, doch es will einfach nicht. Wir sind zu müde und zu unkonzentriert um dort wieder raufzuklettern und entscheiden uns fürs Abschneiden. Wir wollen  nichts mehr Riskieren, denn das bis zu 50° steile und 500 Höhenmeter lange Zustiegscoloir muss noch mit den schweren Rucksäcken abgeklettert werden. Es werden lange anderthalb Stunden, denn das Coloir ist seit dem ersten Mal immer härter geworden und heute müssen wir die Pickel und eisen wirklich reinhauen, damit wir sicher absteigen können. Irgendwann sind wir dann unten und irgendwann erreichen wir den Stein vom Camp 1, wo wir das meiste Material liegen lassen. Das werden wir dann am übernächsten Tag holen… Gemütlich spazieren wir dann über die Blöcke und Wiesen runter ins Basecamp, wo wir von unserer Crew, dem Koch, dem Hilfskoch, dem Offizieren, Narenda un den deutschen Kollegen, die ein paar Tage zuvor über den Westgrat den Gipfel erreichten konnten, herzlichst empfangen wurden! Super, beide Expeditionen waren am Gipfel und sind nun wieder gesund wieder im Basecamp. Als wir uns schlafen legten, konnten wir es es wirklich noch kaum glauben, wir konnten unseren Traum verwirklichen, den für uns sicherlich schönsten Berg der Welt zu besteigen!